kurzlebig aber schön …
En la Plaza del Príncipe de El Sauzal, auf der Mauer vor dem Rathaus von el Sauzal sitzt eine geheimnisvolle Fremde, eine Frau aus Holz mit ein paar vertrockneten Pflänzchen als ehemalige Haarpracht am Kopf. Was macht sie hier, warum sitzt sie auf dieser Mauer?
Die hölzerne Schönheit ist eines der vielen Kunstwerke, das uns nur auf einigen Fotos erhalten bleiben wird. „Ohne Fotografie ist der Moment für immer verloren, so als ob es ihn nie gegeben hätte.“ In diesem Fall trifft die Aussage von Richard Avedon den Nagel wirklich auf den Kopf.
Zum Leben erweckt wurde sie im Rahmen des Märchenfestivals el Festival de Cuentacuentos del Sauzal von Luigi Stinga. Die Figur soll für uns den Geist von El Sauzal sichtbar machen. Ein Städtchen, ein ruhiger Ort mit Blick auf den Teide, der wunderbar dafür geeignet ist, zu lesen, zu träumen, seine Gedanken fliegen zu lassen oder an der Küste zu beobachten, wie die Sonne spektakulär im Meer versinkt. Kultur umgeben von Natur. Wahrscheinlich hat Luigi Stinga deshalb auch das erste Mal sein zum Sterben verurteiltes Werk mit lebendigem Material vermischt. Die lockige Haarpracht der Frau ist – oder war – ein Bestandteil ihrer Umgebung. La musa pensadora oder la Mujer Librepensadora, die Denkerin darf in ihrem Buch noch bis 12. November lesen und über den Sinn des Lebens nachdenken, dann wird sie ein Raub der Flammen. Umgeben von viel Grün wird sie am Rathausplatz verbrannt werden. Asche zu Asche, Staub zu Staub ihre Zeit ist vorbei.
Efimero – flüchtige Kunst, so will es der Künstler. Luigi Stinga wurde 1971 in Sorrento bei Neapel als Sohn des Malers Vincenzo Stinga geboren und hat in Rom an der Accademia di Bella Arti studiert. Wie viele andere Studenten auch, landete er im Rahmen des Erasmusprogrammes auf Teneriffa und studierte in La Laguna an der Fakultät der Bildenden Künste weiter. Die Zeit verging und mittlerweile lebt der Renaissancekünstler, wie er gerne genannt wird, schon über zwanzig Jahre auf der Insel. Er arbeitet in vielen Städten Europas, indem er Dekorationen für Innen- und Außenarchitektur entwirft und fertigt. Egal, ob es sich dabei um private oder öffentliche Gebäude oder Plätze handelt. Er schuf großartige Krippenszenen für die Stadt Santa Cruz und arbeitete mit den Organisatoren des bekannten Carnaval de Santa Cruz zusammen.
Den tieferen Sinn dieser kurzlebigen Kunst findet man in der Renaissance. In dieser Zeit haben viele und bekannte Künstler wie Leonardo da Vinci, Michelangelo oder Bernini geniale Kunstwerke für Feste und Veranstaltungen gemacht. Für die Nachwelt ist davon keines erhalten geblieben nur die Erzählungen und Schriften erzählen von diesen Skulpturen aus Eis, Papier, Holz oder Früchten. Die aufwendigen Stücke wurden nur für eine bestimmte Gelegenheit erschaffen!
Mit dieser Einstellung arbeitet auch Luigi Stinga. Für ihn ist die Entwicklung und die Planung seiner Kunstwerke das eigentliche Ereignis, die Party wie er es nennt. Für die Herstellung der Figuren benötigt er nur einige Stunden und übrig bleiben dann ein paar Erinnerungen an den Moment. Als Material verwendet er weiches Holz, meistens sogar Holzabfälle und schon aus diesem Grund sind seine Werke nicht für die Ewigkeit geeignet. Um ihr Überleben zu sichern, müssten man sie imprägnieren und schützen und das ist nicht Sinn und Zweck dieser Kunst. Ihre Bestimmung ist das Jetzt und nicht die Zukunft – das ist und bleibt ihr Schicksal!
In Puerto de la Cruz könnt ihr noch bis Ende des Jahres diese Dame bewundern. Otra escultura efímera de Luigi Stinga, en esta ocasión para el Festival Puerto de la Cruz en Flor. Sie steht direkt gegenüber des Hotels Marquesa auf der Plaza de la Iglesia Nuestra Señora de la Peña de Francia. Mich erinnert die junge Dame ein bisschen an Eliza Doolittle, der zauberhaften Blumenverkäuferin aus dem Musical My fair Lady. Naja, ganz so hübsch ist das Mädchen aus Holz nicht, aber verstecken muss sie sich auch nicht. Vielleicht hört irgendjemand am Abend ja ein leises Wispern? „Es grünt so grün wenn Spaniens Blumen blühen …“
Begonnen hat alles in Puerto de la Cruz, denn einmal im Jahr verwandelt sich die Innenstadt in eine Fantasiewelt. Seit dem Jahr 2000 wird im Mai in der Stadt das Festival MUECA gefeiert. Man wollte die bekanntesten Komiker und Kabarettisten der Insel und die vom spanischen Festland gemeinsam auftreten zu lassen. Theater, Malerei und Musik in den Gassen und auf den Plätzen, Seiltänzer, Stelzengeher und Kunsthandwerker …
So hat alles begonnen und sich mittlerweile zu einem internationalen Festival der Strassenkunst und des Theaters entwickelt. Wir haben, wie in den vergangenen Jahren, leider nicht viel davon gesehen, denn das große Fest der Strassenkünstler beginnt am Donnerstag und endet immer am Sonntag Abend. Da unser Sonntag der Montag ist, gehe ich immer am Tag danach auf meine ganz persönliche Reise in die vergangene Welt der Fantasie.
Die Künstler sind zwar verschwunden, aber einige ihrer Werke erinnern noch Jahre später an sie. Mittlerweile findet man schon sehr viele Wandmalereien an den Fassaden der oft so tristen, fensterlosen Wandflächen, aber es gibt auch eine andere Art von Kunst – flüchtige Kunst, el arte efímero.
Dieser Stier aus Holz, el Minotauro, saß im Mai 2016 einsam und allein in la Calle Mequinez und wartete auf sein Schicksal. Im Jahr davor war es die wunderschöne Meerjungfrau Cathaysa, die Luigi Stinga aus Holzresten gezimmert hat. Ihr Leben wurde in der Nacht der Sonnenwende beendet, sie wurde ein Raub der Flammen des Freudenfeuers. Dieses Los hat auch den Minotauro getroffen, denn das war seine Bestimmung.
Den alten Silvesterbrauch, eine Holzfigur zu verbrennen, brachte der Künstler aus seiner italienischen Heimat mit. Für diesen Zweck baut er in Bajamar jedes Jahr ein anderes Tier aus Holz, das am Abend des 31. Dezember angezündet wird. Gemeinsam mit dem Tier aus Holz werden auch alle schlechten Erlebnisse des vergangenen Jahres ein Raub der Flammen und verschwinden mit dem aufsteigenden Rauchwolken im Nirgendwo.
Ein weiteres Kunstwerk, eine Rieseneidechse, zierte im Frühsommer dieses Jahres auch die Stufen an der Plaza in Garachico. Auch sie wurde in der Nacht von San Juan das Opfer der Flammen und ist als weißer grauer Rauch Richtung Himmel entschwunden. Übrig bleibt dann ein kleines Häufchen Asche und Unmengen von Metallklammern. Diese Überbleibsel werden dann am nächsten Tag zusammen gekehrt und in den Müll entsorgt. So unspektakulär endet das Leben einer in Form gebrachten Vision mit vielen Gedanken, Träumen und vielleicht schon wieder neuen Ideen. Wer weiß das schon so genau? Und wollen wir es überhaupt wissen?
Was zählt ist das Hier und Jetzt, der Moment. Lo que cienta es el momento – aqui y ahora! What counts is the moment – the here and now! Wie schrieb doch der gute alte Brecht: „Kultur ist das Vergnügen, die Welt zu verändern.“ Lasst uns diese Welt verändern und fügen wir dem Leben ein kleines Schmunzeln bei!
•*¨*•❥ Übrigens – Luigi Stinga ist auch kein schlechter Maler – seht euch doch auf seiner Homepage um
Ingrid, vielen lieben Dank für diesen tollen Bericht. Leider ist nirgendwo ein Hinwris auf den Künstler angebracht. Ist der Amor, der vor der Kirche in Icod steht, auch von diesem Künstler?
Die erste Skulptur die ich gesehen habe, war in Los Gigantes…eine Schildkröte.
Wie immer sehr informativ und ausführlich.
LG Elke
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ja, der Àrbol Amor ist auch von Luigi Stinga, er hat ihn für eine Veranstaltung für die Akzeptanz für Behinderungen gemacht. Liebe Grüße Ingrid
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Pingback: Verpackungsvermeidungskünstler | Teneriffa – InselLEBEN einmal anders …
Danke 🙏 Ingrid für den schönen Artikel und Fotos
Liebe Grüße von Mellanie Sellnau aus Hannover Deutschland
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Bei diesem Künstler fasziniert mich immer wieder, wie schnell er seine Figuren in die Welt stellt. Er kommt mit einer Fuhre Holz, beginnt mit seiner Arbeit und nach ein, zwei Tagen steht die Skulptur auf ihrem Platz 🙂
Liebe und sonnige Grüße nach Hannover!
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bitte gerne Mellanie – es würde mich freuen, wenn du öfter in meinem Blog stöbern würdest – und danke für deine netten Zeilen 🙂 Liebe Grüße von Teneriffa nach Hannover!
Ingrid
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