Fische, die nie mehr schwimmen …
Der Aschermittwoch, el Miércoles de Ceniza, ist ein trauriger Tag, immerhin wird ein guter alter Bekannter der vergangenen Tage zu Grabe getragen. Auf Teneriffa ist es bei Gott kein besinnlicher und ruhiger Tag. Es wird zwar öffentlich getrauert, gewimmert und geweint, aber es wird auch ausgiebig gefeiert! Vor Beginn der Fastenzeit, gibt es in Spanien und einigen anderen lateinamerikanischen Ländern einen merkwürdigen aber lustigen Brauch. Jedes Jahr, am Aschermittwoch, findet in den Abendstunden ein ganz besonderes Begräbnis statt.
Die Tinerfeños verabschieden sich heute Abend trauernd und weinend von der fünften Jahreszeit. Im Laufe des Tages tauchen immer mehr trauernde Witwen in den Strassen auf. Auf eleganten Schuhen mit abenteuerlich hohen Absätzen, zarten Witwenschleiern und mit schwarzen Strümpfen gekleidet, schieben die schluchzenden und vor sich hin jammernden Trauergestalten schwarze Kinderwägen, beladen mit genügend Alkohol und anderen Getränken, durch die Gassen.
Entierro de la Sardina – die Beerdigung der Sardine. Eine Sardine im mit Sarg und flackernden Kerzen, eine große Trauergemeinde mit schwarz gekleidete Witwen, die das Opfer stilgerecht verabschieden, mit allen Ehren und respektloser respektvoller Trauer begleiten den Verblichenen zu seiner letzten Ruhestätte. Laute Stoßgebete werden zum Himmel geschickt und die Trauer überwältigt den ein oder anderen Trauergast.
Die Tinerfeños legen ihre bunten Kostüme in die Kiste den Schrank und verkleiden sich als trauernde Witwen, die den Tod des Karnevals beweinen. Ihr könnt mir glauben, beim Anblick dieser modischen und eleganten Kreationen der Modewelt, könnte so manche echte Lady vor Neid ganz blass um die Nase werden. Vor allem wenn man bedenkt, dass unter jeden zweiten Witwe ein gestandener Mann steckt. Das Geheule der trauernden Witwen wird als Abrundung des Bildes noch von respektlosen Geistlichen begleitet und durchaus stilvoll ausgestattete Pfarrer segnen die Sardine ehrfurchtsvoll vor dem Verbrennen mit einem anständigen Spritzer aus der Schnapsflasche.
Heute wird der Karneval sie also begraben, korrekt ausgedrückt – die Sardine mit den knallroten Lippen wird verbrannt! Das brennende Fischlein hat natürlich noch einmal untröstliches und lautes Jammergeschrei zur Folge, aber wie es auch sei, trotz großer Trauer wird der arme Fisch verbrannt und mit einem riesigen Feuerwerk ein allerletztes Mal geehrt.
Und danach? Zur Erholung vom großen Schreck wird noch einmal so richtig bis in die Morgenstunden gefeiert und eigentlich ist damit Schluss mit lustig, die närrische Zeit sollte vorbei sein. Die Betonung liegt in diesem Fall jedoch auf dem kleinen Wörtchen sollte. Am kommenden Samstag findet in Puerto de la Cruz traditionell der große Karnevalsumzug, el Gran Coso Apoteosis del Carnaval, statt – obwohl auch dort die Sardine heute Abend ordnungsgemäß verbrannt wird. Diese Parade wird von vielen Faschingsgruppen der Insel begleitet und gehört zu den wichtigsten Veranstaltungen des Carnaval portuense, dem Karneval von Puerto de la Cruz. Von einem Ende der Faschingszeit kann man also nicht wirklich ausgehen, denn auch in der Hauptstadt Santa Cruz gibt es keinen Grund zum Traurig sein. Der Schlussstrich des Karnevals wird ebenfalls erst am Wochenende gezogen. Mit der Piñata Chica, wird der Karneval mit Aufführungen, Straßenfesten und Umzügen verabschiedet. In Icod de los Vinos ist natürlich auch alles anders, hier wird el Carnaval erst am Samstag zu Grabe getragen. Der Karneval ist tot, es lebe der Karneval! ¡Viva el carnaval!
Bei dieser speziellen Sardine handelt es sich nicht um ein mickriges Fischlein aus der Sardinenbüchse. Getreu dem Vorbild aus dem Meer wird ein überdimensionaler Fisch aus viel Draht und noch mehr Pappmaché hergestellt, bunt bemalt und liebevoll verziert. Als scharfe Ergänzung bekommt sie noch eine anständig zündende Füllung aus Feuerwerkskörpern mit auf den Weg und so wird das gute Stück, begleitet von einem glitzernden Spektakel am Sternenhimmel, verbrannt.
Wie ist diese eigentümlichen Tradition entstanden und woher kommt sie? So ganz genau weiß das niemand, denn über den Ursprung dieses Brauchs gibt es mehrere Versionen.
Die erste Version sagt, dass der Brauch Mitte des 19. Jahrhunderts in Madrid entstanden ist. Nach uralter Tradition fuhr das Volk aufs Land, um vor der Fastenzeit irgendetwas symbolisch zu Grabe zu tragen und weil Fleisch in der Fastenzeit absolut verboten war, beerdigte man logischer Weise keinen Fisch, also auch keine Sardine, sondern die fleischigen Rippen eines Schweins. Die Schweinsrippchen nannte man cerdina und wie bei dem Spiel Stille Post wurde mit der Zeit aus cerdina das Wort sardina. So soll es dazu gekommen sein, dass heute fast überall in Spanien vor Beginn der Fastenzeit eine Sardine zu Grabe getragen wird.

El entierro de la Sardina, Francisco de Goya, 1812 – 1819
Eine andere Legende erzählt davon, dass König Karl III von Spanien (1759-1788) ab Aschermittwoch jede Art von Fleisch aus den Küchen verbannte. Dem Volk musste er die Fastenzeit erst schmackhaft machen und so organisierte der König ein großes Fest. Damit niemand hungern musste, ließ er einen Berg von Sardinen in die Stadt liefern. Doch an diesem Tag machte ihm die Sonne einen dicken Strich durch die Rechnung. Es wurde, völlig untypisch für die Jahreszeit, außergewöhnlich heiß. Den Sardinen bekam die Hitze nicht sehr gut und bald lag ein bestialischer Gestank in der Luft. Auf Fische hatte niemand mehr Appetit. Jetzt war guter Rat teuer, wie sollte man das Übel los werden? Ganz einfach, das Volk organisierte kurzerhand ein Begräbnis. Gemeinsam zogen alle vor die Stadt, um die Sardinen zu begraben und sich von dem unsäglichen Gestank zu befreien. Vielleicht gefiel ja vielen Menschen diese eigenartige Veranstaltung so gut, dass die Beerdigung der Sardine von da an Jahr für Jahr wiederholt wurde.
In anderen Aufzeichnungen findet man eine Geschichte aus Madrid. Mitte des 19. Jahrhunderts beschloss eine Gruppe von Studenten einen Leichenzug zu organisieren, der von einer Sardine angeführt werden sollte. Der Fisch sollte als Symbol für die Fastenzeit und die Enthaltsamkeit stehen. Gleichzeitig konnte man aber doch noch einmal ausgelassen feiern. So wurde der Karneval kurzerhand um einen Tag und ein Fest verlängert. Auch nicht schlecht, oder?
Welchen Ursprung die Beerdigung der Sardine auch immer hat, ist eigentlich gleichgültig. Vielleicht soll das symbolische Begräbnis nur die Garantie dafür sein, dass im nächsten Jahr erneut fröhlich und ausgelassen gefeiert werden kann? Der Karneval ist tot, es lebe der Karneval! ¡Viva el carnavale! Die Menschen muss man nehmen wie sie sind – es gibt keine anderen!
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