In Österreich hat es vor Jahren einmal den Slogan Wien ist anders gegeben, aber nicht nur Wien war oder ist anders – der Norden Teneriffas hat auch eigene Spielregeln. So mancher Tourist, der seinen Urlaub in Puerto de la Cruz verbringt und am Donnerstag nach La Orotava kommt, wird sich wundern. Puerto de la Cruz und La Orotava gehen ja mehr oder weniger in einander über und die Grenze der beiden Städte ist teilweise einfach die Autobahn, wenn ich es einmal ganz banal sage. Ursprünglich war es ja eine Stadt – La Orotava mit dem Fischerhafen Puerto de Orotava, heute bekannt als Puerto de la Cruz. Aber das nur nebenbei.
Der Urlauber erlebt also in Puerto einen ganz normalen Tag, alle Geschäfte sind geöffnet, die Menschen sind fleißig an der Arbeit. Fährt er jedoch einen Kilometer weiter, ins größte Einkaufszentrum dieser Region steht er vor verschossenen Türen, die Geschäfte sind geschlossen. Den Grund kennt er nicht, denn was an diesem normalen Wochentag auf den steilen und engen Strassen in Orotava vor sich geht, weiß er nicht. Wer kommt schon auf den Gedanken, dass hier eines der schönsten Feste der Insel gefeiert wird?
El Día de las Alfombras o la Infraoctava del Corpus Christi se celebrará el 22 de junio de 2017. In La Orotava wird Fronleichnam gefeiert – obwohl dieser kirchliche Feiertag bereits vor einer Woche im Kalender stand. Es wird sozusagen ganz exclusiv und konkurrenzlos gefeiert. Der Sandteppich vor dem Rathhaus ist ein Teil davon, die vielen Blumenteppiche sind ein anderes Thema. Beide zusammen ergeben das Gesamtkunstwerk Corpus Christi en la Villa de La Orotava.
Am 20. Mai 1956 konnte man in der Zeitung Canarias folgendes lesen: „Wenn es einen Ort auf Teneriffa gibt, der sich durch seine besondere Frömmigkeit hervortut, dann ist das La Orotava. Hier gibt es religiöse Riten, die man als außerordentlich bewundernswert bezeichnen kann – die Blütenteppiche zu Corpus Cristi“. Aus einer kleinen, blumigen Geste von Leonor del Castillo y Betancourt, die 1847 den ersten Blütenteppich zur Corpus Cristi Prozession legte, ist eine Tradition geworden, die bis in die heutige Zeit von großer Bedeutung ist.
Doch so kurz und bündig war die Geschichte nicht wirklich, denn zu dieser Zeit waren Blumenteppiche so gut wie gar nicht bekannt. Der Ursprung dieser Teppiche aus Blütenblättern ist eindeutig italienisch und stammt aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, als anlässlich des Festes für die Schutzheiligen von Rom, also Peter und Paul, das erste Mal ein Platz mit Blumen geschmückt wurde. Aber wie konnte dieses Wissen damals auf die Insel kommen?
Leonor del Castillo Betancourt, eine Adelige der Stadt war diejenige, die die Initiative ergriffen hat. Auf Teneriffa herrschte bis 1840 eine wirtschaftliche Krise und die Fiestas waren zu einfachen Festen verkommen. Die adelige Dame dachte also darüber nach, wie sie dem Fest wieder zu mehr Pracht verhelfen und den religiösen Hintergrund wieder in den Vordergrund rücken könnte. Bethencourt – der Name stand nicht nur für eine wohlhabende und mächtige, sondern auch für eine sehr gebildete Familie. Vor allem Agustín del Castillo y Betancourt, IV Conde de la Vega Grande, der Bruder von Leonor und gleichzeitig der Cousin ihres Mannes, war ein weit gereister Mann. So war es kein Wunder, dass sich in der Bibliothek des Hauses auch ein Buch über die Blumenkunst in Gezano bei Rom befand.

links seht ihr die Casa Monteverde und rechts steht das Haus von Lercaro
Doña Leonor kannte dieses Buch natürlich, sie war begeistert und so entstand 1844 der erste Blumenteppich vor dem Haus ihres Mannes und ihrem Cousin, la Casa Monteverde in der Calle del Colegio. Von diesem ersten Teppich existiert sogar noch eine Skizze und als Notiz kann man auf dem Papier lesen: „Esta, como todas las alfombras que se hacen delante de la Casa de Monteverde, son adornadas con pétalos de flores por las mismas Señoras y Caballeros de ella, 4 ô 5 personas, que emplean de 5 a 6 horas para concluirla. Hecha por María Teresa de Monteverde, y tendría de largo 3,50 x 2,50. En esta primera alfombra (1847) lo oscuro no son flores, son las piedras de la calle“
So sah also der erste Teppich der Stadt aus und nach diesem Muster wurde der Teppich vor diesem Haus Jahr für Jahr wieder gestaltet. Die dunklen und weißen Flächen wurden nicht mit Sand ausgefüllt, sie stellen das graue Straßenpflaster dar. Verwendet wurden dafür Blütenblätter von Rosen, Geranien und anderen Blumen.
Daran gearbeitet haben drei adelige Frauen mit langen und klangvollen Namen – Doña Leonor del Castillo Betancourt, Doña María Teresa de Monteverde y Bethencourt und Doña María del Pilar de Monteverde y del Castillo Betancourt. Wer noch beteiligt war ist nicht überliefert, höchstwahrscheinlich waren es zwei Brüder oder Neffen der Familien. Schade, dass es von den drei Damen nur Fotos im hohen Alter gibt, ich hätte gerne ein Bild von den jungen Adeligen gesehen.
Im Laufe der nächsten Jahre wurden diese Blumenbilder zu Fronleichnam immer beliebter und kunstvoller und eine Dame der Gesellschaft nach anderen übernahm die Art des Blumenschmucks. Bald war der ganze Weg, den die Prozession nahm mit Blumenteppichen bedeckt. Die Blumenteppiche wurden zur Gewohnheit und zur Tradition, die nur zweimal unterbrochen wurde. 1891 wegen des Ausbruchs von Pocken und 1897 wurden die Teppiche in die Kirche verlegt.
Im Jahr 1905 wurde der Rathausplatz das erste mal mit einem Teppich aus Blumen geschmückt und als ein Jahr später König Alfons XIII. von Spanien die Stadt besuchte, wurde er ihm zu Ehren wieder mit einem Teppich aus Blütenblättern bedeckt. Der König bewunderte die Blumenkunst und war so begeistert, dass er die Künstler aus Orotava nach Madrid einlud, um einen Blumenteppich, un alfombra de flores auf der Plaza de Toros zu gestalten.
Erst viel später wurden andere Dinge wie Sand, Steinchen, Heidekraut und Bambus in dem Bild auf dem Rathausplatz verarbeitet. In den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde für das Bild das erste Mal Sand aus den Cañadas genommen. Der Teppich aus Sand wurde als Teil eines besonderen Festaktes zu Ehren eines hohen Besuchs 1905 hergestellt und seit 1912 oder 1918, das weiß man nicht so genau, ist er Teil des Corpus Cristi Festes.
“Hoy los adoquines son pétalos en flor”. Am Tag des Fronleichnamsfestes, Corpus Christi, stehen viele Bewohner ganz Orotava früh auf, denn um diese Arbeit in der kurzen Zeit zu schaffen sind viele Hände notwendig. Die engen und steilen Gassen werden mit bunten Teppichen aus Blüten, Blumenblättern, Heidekraut und Sand aufgeputzt, das graue Kopfsteinpflaster verschwindet für einen Tag. Bilder aus Blüten beherrschen das Bild der Innenstadt und die gepflasterten Gassen in der Nähe der Kirche Nuestra Señora de la Concepción verwandeln sich in eine bunte Reihe von Gemälden aus Blumen. Die Blütenteppiche zeigen den genauen Weg der Prozession an und laufen schließlich auf dem Rathausplatz zusammen.
Bereits in den frühen Morgenstunden warten die Akteure vor den Häusern und Plätzen auf die Säcke mit Blütenblättern und anderen Zutaten um mit ihrer Arbeit beginnen zu können. Die Teppiche werden jedes Jahr von den Bewohnern der Stadt hergestellt und es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie sowohl Kinder als auch alte Leute unermüdlich, aber mit viel Spass, bei der Arbeit sind. Während offiziell Männer und Kinder für die Entwürfe zuständig sind, zerpflücken die Frauen Blumenblüten, um die Bilder auszufüllen.
Neben dem Teppich aus Sand, der vor dem Rathaus liegt, werden normalerweise noch dreißig weitere Teppiche hergestellt. Wer an diesem Tag in La Orotava ist, erlebt einen richtigen Blütentraum in den Strassen und Gassen der Altstadt und ein feiner Duft von Heidekraut liegt in der Luft. Leider haben die Prunkstücke aus Blumenblättern und Heidekraut nur ein sehr kurzes Leben, denn sie schmücken die Strassen nur bis zum Abend, bis die Prozession darüber geht. Eine sehr vergängliche Kunst und vielleicht gerade deshalb jedes Jahr aufs Neue wunderschön!
Doch die Prozession von der Kirche bis zum Rathausplatz ist noch lange nicht das Ende des Tages, denn jetzt wird gefeiert und La Orotava startet voll durch! Gleich nach den Feiern für Fronleichnam beginnen die Vorbereitungen für die Romeria San Isidro Labrador am Wochenende. In den nächsten Tagen könnte es für alle Feierlustigen also eng werden – es mogelt sich ja auch noch die Noche San Juan dazwischen …
P.S.: die Fotos sind natürlich aus den vergangenen Jahren …
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