Einen Nachmittag im Jahr steht Puerto de la Cruz Jahr Kopf. Die ganze Stadt feiert die Heiligen, die für die Fischer zuständig sind – und natürlich auch sich selbst. La Embarcación de la Virgen del Carmen y San Telmo. Aus diesem Grund ist dieser besondere Tag in Puerto de la Cruz auch ein Feiertag. In allen anderen Orten auf der Insel wird allerdings fleißig gearbeitet.
Wir arbeiten heute auch, aber die Geschichte der fröhlichen Fiesta von Puerto de la Cruz erzähle ich euch trotzdem. Ich muss nur ein bisschen in meiner Erinnerung kramen und ein paar alte Fotos treibe ich auch noch auf. Also dann …
Im Mittelpunkt des Geschehens stehen ein Mann und eine Frau. Es handelt sich dabei nicht um den Ehrentag eines Ehepaares sondern um zwei unabhängige Heilige. Die Jungfrau Maria und der Heilige Telmo sind zuständig für den Schutz der Fischer. Maria? Carmen? Stern des Meeres, Estrella del Mar? Das klingt ein bisschen verwirrend, doch das Rätsel ist ganz einfach zu lösen. Es handelt sich dabei um ein und dieselbe Person, eine junge Frau, die allerdings in der katholischen Welt unter einigen verschiedenen Namen unterwegs ist.
Der Name Carmen hat nichts mit einer Heiligen Carmen zu tun – sondern mit dem Karmelgebirge. Dieses Gebirge liegt an der Mittelmeerküste in Israel und war sozusagen das Wohngebiet des Propheten Elia und seiner Jünger. 1251 hatte ein englische Mönch an diesem Ort eine Vision. Er sah die Jungfrau Maria und diese Erscheinung wurde von da an Nuestra Señora del Monte Carmelo oder María del Carmen genannt. Aus Eins mach Drei, so einfach geht das. Mit dieser Methode vervielfältigen sich die Heiligen in der Katholischen Kirche auf wundersame Weise – und niemand kennt sich mehr aus.
Die Hauptperson der Nacht von Puerto de la Cruz zeigt sich erst in den frühen Abendstunden dem wartenden Fussvolk. Nach dem obligaten Gottesdienst wird La Virgen Carmen, in der männlichen Begleitung von San Telmo, in einer feierlicher Prozession mit vielen Blumen und silbernen Kerzenkandelabern geschmückt, auf den Schultern starker Fischer, aus der Kirche durch viele schmale Gassen bis zum Hafen getragen. Das ist eine ganz schön lange Strecke für die tapferen Bürdenträger, denn die Last auf den Schultern der Träger ist ein kleines Schwergewicht.
Diese Prozession hat einen ganz eigenen Charakter, einen speziellen Charme. Die heilige Jungfrau wird nicht nur, wie man es gewohnt ist, ehrfürchtig und demütig behandelt. Im Gegenteil, sie wird von den Fischern, die sich schon mit einigen Gläschen Wein gestärkt haben, ziemlich stürmisch durch die Gassen transportiert. In Wahrheit muss die zierliche Jungfrau ziemlich schwindelfrei sein, denn sie wird mehr durch die Gegend geschaukelt als ehrfurchtsvoll getragen. Die beiden schweren Statuen der Heiligen mit dem prunkvollen Blumenschmuck schwanken des Öfteren äußerst bedenklich durch die Lüfte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der zuständige Priester jedes Mal drei Kreuze schlägt wenn seine zwei Schützlinge wider heil und unbeschädigt in der Kirche landen. Zittern darf er im nächsten Jahr um die gleiche Zeit dann wieder.
So wie es schon immer Tradition war, wird die Jungfrau also nicht mit Erfurcht und Zurückhaltung von den Gläubigen und Schutzbefohlenen behandelt. Die Fischer beschimpfen ihre Schutzpatronin im wahrsten Sinne des Wortes. Die Fischer beschweren sich bei ihrer Schutzheiligen, sie klagen und jammern, dass der Fang im vergangenen Jahr nicht immer gut genug war und fordern einen erfolgreicheren Fischfang für die kommende Saison. Außerdem fluchen sie zum Missfallen der Geistlichen laut und theatralisch. Warum? ¿Por qué? Die zarte Jungfrau soll auf keinen Fall auf die Idee kommen, ihre Anstrengungen für die Arbeit der Fischer zu verringern. Deshalb drohen ihr die Träger auch, vom Weg abzuweichen und die Jungfrau ins Meer zu tauchen – was natürlich nicht geschieht. Da sind dann plötzlich noch mehr Fischer zur Stelle. Sie bringen die schwankende Jungfrau inklusive der Träger – oder besser gesagt umgekehrt – wieder auf den richtigen Weg! Das ganze Theater wird von rhythmischen, lebendigen und frechen Sprechchören begleitet. Es werden lustige und zynische Lieder gesungen, die die Zuschauer lautstark mit dem passenden Refrain beantworten. Die Stimmung ist einfach nicht zu beschreiben. Lebensfreude pur! iPura alegría de vivir!
Auf der Mole des alten Fischerhafens herrscht schon seit den späten Morgenstunden Partystimmung. Es werden Zelte zum Schutz gegen die Sonne aufgebaut, bunte Sonnenschirme wohin das Auge blickt, es wird gegrillt, gefeiert und – gewartet. Am Nachmittag springen die Menschen ohne Unterbrechung von den Hafenmauern in die Fluten der Bucht, Boote in allen Größen schippern im Hafenbecken hin und her und ein kleiner LKW schafft es, inmitten dieser Menschenmassen sein Fahrzeug ans Ende der Mole zu lenken und dann auch noch zu wenden. Wofür der Fahrer sich das antut? Er bringt die Kisten, in denen Tauben auf ihre Befreiung warten. Sobald die Jungfrau mit ihrem Boot Richtung Meer schippert, dürfen sie in den Himmel fliegen. Aber noch ist es nicht so weit. Es heißt weiter warten. Es wird immer enger auf der Mole, lange kann es also nicht mehr dauern.
Es wird Abend und sobald man die ersten Blitzlichter der Fotografen erkennen kann, ist die Prozession endlich am Ziel angelangt. Die Statuen mit ihren Trägern haben den Hafen erreicht und machen vor einem blumengeschmückten Altar eine kleine Verschnaufpause. Die laute Diskomusik verstummt fast schlagartig und aus den Lautsprechern ertönen ganz andere Klänge. Bevor die zwei Schutzheiligen ihre Reise auf das offene Meer antreten, werden sie noch stilgerecht mit einem „Ave Maria“ verabschiedet. Sicher ist sicher! Nun werden die zwei hölzernen Schutzpatrone endlich auf die beiden geschmückten Boote verladen. Musikalisch begleitet und von lauten Jubelrufen der Massen. iViva la Carmen, Viva San Telmo!
Um acht Uhr abends starten die beiden Heiligen, jeder auf einem eigenen, mit vielen Blumen geschmückten Schiffchen, ihre kleine Rundreise über die sanften Wellen des tiefblauen Atlantiks.
Ein großes, geschmücktes Boot für die Jungfrau mit ihren tapferen Trägern und ein kleines für ihren männlichen Begleiter. Wie es sich gehört, oder? La Patrona de los Pescadores, wie man Carmen hier liebevoll nennt, wird von vielen, kleinen Booten begleitet. Egal ob Ruder- oder Schlauchboot, Gummireifen oder Luftmatratzen. Hauptsache es schwimmt. Einige der Kähne vermitteln ein wenig den Eindruck, dass man sie nie wieder zu sehen bekommen wird. Sie sind hoffnungslos mit feiernden Menschen überladen und versinken fast im Wasser. Aber genau so muss es wohl sein! Vom Puerto Pesquero rudern die Fischer mit den beiden Boote und ihrem ganzem, schwimmenden Gefolge vorbei an der Playa Jardin bis zum alten Fischerdorf Punta Brava. Dort lassen sie sich ebenfalls bejubeln und nehmen danach wieder Kurs auf den sicheren Heimathafen von Puerto de la Cruz.
Nach dieser anstrengenden Seefahrt dürfen die beiden Holzfiguren wieder zurück auf ihren angestammten Platz in der Kirche, la Iglesia Nuestra Señora la Peña de Francia. Das war der religiöse Teil der Veranstaltung, doch darum kümmert sich die Allgemeinheit nicht mehr wirklich. Warum? Jetzt wird feuchtfröhlich und übermütig gefeiert! Dafür sind Feste ja da, oder?
Ach ja, noch ein kleiner Tipp: wer sich in die Nähe des Hafens wagen sollte, darf nicht wasserscheu sein. Der Segen in Form von Wassergüssen kommt von oben! Erst wird mit einigen Wassertropfen die Menge auf der Strasse gesegnet – aber dann kommen die Wasserladungen gleich Eimerweise nach. Ob man will oder nicht – trocken kommt man da nicht davon!
Beten, feiern, trinken, essen und ein Feuerwerk – kurz gesagt, ein Gesamtkunstwerk! Spätestens nach der Prozession quellen die Bars rund um die Plaza del Charco über. In der Innenstadt von Puerto kann heute Nacht niemand umkippen oder gar umfallen. Es gibt fast kein Durchkommen. Ob Jung oder Alt, ob im Rollstuhl oder im Kinderwagen – jeder, der sich bewegen kann feiert mit. Gefeiert wird bis weit nach Mitternacht – bis die ersten Sonnenstrahlen den Hafen von Puerto de la Cruz erreichen. ¡Felices Fiestas y viva el Virgen del Carmen! Viva la Fiesta de Julio!
Wie gesagt, wir werden das Fest heute nicht selbst mitfeiern. Ich wollte euch aber trotzdem davon erzählen, denn ich finde, es ist eines der schönsten Feste in unserer Umgebung. Die Fotos haben auch schon ein paar Jährchen am Buckel, aber im Prinzip ändert sich nicht viel. Naja, die Teilnehmer werden jedes Jahr ein bisschen älter und die Farben des Blumenschmucks sind nicht immer gleich. Aber das ist nicht wichtig, das sind ja nur Kleinigkeiten, oder?
Einen Hauch der Fiesta kann man schon tagelang davor rund um das Hafenviertel spüren, denn die Vorbereitungen für das Fest und vor allem für die Prozession sind aufwendig und fordern den Einsatz ganzer Familien. Es werden kunstvolle Gestecke aus frischen, bunten Blumen gesteckt und gebunden und die warten dann in den engen Türeingängen auf ihren Einsatz zu Ehren der Jungfrau. Kreuze und Balkone werden geschmückt und an den meisten Hausfassaden hängen bunte Fahnen. Am alten Hafen stehen Markthändler, die die passenden Utensilien für Jung und Alt verkaufen und ein Teil der Parkplätze ist den Stellplätzen für die kulinarische Versorgung zum Opfer gefallen.
Am Plaza de Charco wurde die Fiesta in einer kleinen Miniaturwelt rund um den Brunnen aufgebaut. Es erinnert ein bisschen an eine Weihnachtskrippe im Sommer, aber auch wenn das ganze Kunstwerk ziemlich kitschig ist, ist es trotzdem schön. Es passt zur Stimmung und die Kinder haben ihren Spass damit. Eine kleine, heile, bunte Welt, eine Mixtur aus gestern und heute.
Pingback: Fiesta de Julio | Teneriffa – InselLEBEN einmal anders …