Gestern haben tausende Menschen die wunderschönen Blumenteppiche in La Orotava bewundert. Petrus hat mitgespielt und so konnten viele Besucher bei strahlendem Sommerwetter durch die Gassen der Innenstadt spazieren und zusehen, wie das graue Kopfsteinpflaster innerhalb von ein paar Stunden von fünfunddreißig bunten Blumenteppichen verschwand.

Der Höhepunkt wartete natürlich auf dem Platz vor dem Rathaus – der berühmte Sandteppich aus buntem Sand des Lavagesteins der Insel! Ein Meisterwerk der ganz besonderen Art, oder? Vor allem das Bildnis des kleinen Jungen faszinierte die Besucher. Ob gestern noch sehr viele Bewunderer daran gedacht haben, wofür oder warum dieser Junge seine Hand aus dem Teppich streckte?
Ich glaube, darüber haben sich nicht viele Besucher Gedanken gemacht, aber ich kann mich natürlich auch irren. Nur zur Erinnerung, der Junge symbolisierte die Schwachen der Gesellschaft, er war der Platzhalter für Nächstenliebe. Was viele Menschen allerdings nicht verstehen, ist die Tatsache, dass sämtliche Kunstwerke die an diesem Tag entstehen, am Abend zerstört werden. Einfach so.

Nach der Messe am Abend, zieht die Prozession der Gläubigen von der Kirche La Concepción erbarmungslos über die Blumenteppiche bis zum Rathaus. In der Mitte des wunderschönen Lavateppichs endet die Prozession. Nach der Zeremonie auf diesem Platz geht der Zug wieder zurück zur Kirche. Das Bild ist zerstört, nicht mutwillig sondern als Konsequenz. Menschen schweben nicht im Raum, sie stehen noch immer mit beiden Beinen, mehr oder weniger sicher, auf dem Boden. Um vorwärts zu kommen, muss also jeder Mensch einen Fuss vor den anderen setzen. Wir bewegen uns Schritt für Schritt und wirbeln dabei eben auch Staub, oder in diesem Fall Sand, auf.

Da arbeiten zwölf Männer über fünf Wochen an einem Gemälde aus Sand, tagelang schneiden über hundert Frauen und Männer abertausende von Blumenköpfen von den Stengeln und ordnen sie farblich getrennt in Hunderten von Kisten. Sägemehl und Holzspäne werden gesammelt und geröstet damit sie später die erforderliche Bräune oder Schwärze bekommen und Heidekraut wird ebenfalls in großen Mengen gesammelt und klein geschnippelt.

Männer, Frauen und Kinder verbringen Stunden mit der Dekoration der Gassen – und dann kommt eine Prozession und zertrampelt die mühsam hergestellten Werke. Die fleißigen Helfer im Hintergrund sieht niemand, sie bleiben unsichtbar. Und genauso verhält es sich mit dem ganzen Fest. Das Fest ist aus, wir geh’n nach Haus…
Es gibt ja nichts mehr zu sehen. Doch was geschieht, nachdem sich die Straßen der Stadt geleert haben? Nachdem die Prozession wieder in der Kirche eingetroffen ist und sich die Besucher in alle Winde zerstreut haben?
Richtig – es tauchen wieder viele unsichtbare Helfer auf. Naja, unsichtbar sind sie nicht wirklich, aber außer den Kindern die noch auf dem Platz vor dem Rathaus spielen, werden die Männer mit ihren Besen und Schaufeln nicht wahrgenommen. Jetzt verschwindet das Kunstwerk endgültig und in ein paar Stunden wird nichts mehr darauf hinweisen, dass vor nicht allzu langer Zeit Menschen mit Staunen und Bewunderung vor diesem Platz gestanden sind. Vergängliche Kunst

Dank der Webcam, die auf dem Rathaus von La Orotava montiert ist, kann ich euch sogar ein paar Fotos von der Reinigungsaktion zeigen. Kurz vor Mitternacht war die Arbeit der Männer erledigt und das Sandbild endgültig ein Teil der Vergangenheit. Der Platz vor dem Rathaus war besenrein gefegt und die Pflastersteine verraten niemanden die Geschichten, die sie in den vergangenen Wochen hören durften.

… und nicht vergessen – heute steht der traditionsreichen Baile de Magos im Festprogramm, am Samstag, finden der Viehmarkt und la Romería Chica von der Iglesia del Calvario bis zur Iglesia de la Concepción statt. Außerdem beginnen die Vorbereitungen für die Romeria San Isidro Labrador am Sonntag. In den nächsten Tagen könnte es also für alle Feierlustigen etwas eng werden
Pingback: Corpus Christi 2021 in La Orotava | Teneriffa – InselLEBEN einmal anders …
„Das Bild ist zerstört, nicht mutwillig sondern als Konsequenz. Menschen schweben nicht im Raum, sie stehen noch immer mit beiden Beinen, mehr oder weniger sicher, auf dem Boden. Um vorwärts zu kommen, muss also jeder Mensch einen Fuss vor den anderen setzen. Wir bewegen uns Schritt für Schritt und wirbeln dabei eben auch Staub, oder in diesem Fall Sand, auf. “ 😍👏👌👍🏆
LikeGefällt 1 Person
Sehr schön geschrieben!
Noch eine Ergänzung: Der zusammengekehrte Sand wird übrigens wieder zurück in die Cañadas gebracht, wo er her kommt. Dort füllt man damit stark erodierte Flächen auf. Und die Blumenreste werden natürlich kompostert.
Liebe Grüße, gerardo
LikeGefällt 2 Personen
danke, das habe ich ganz vergessen rein zu schreiben. Und dann möchte ich mich noch einmal für deine Kommentare bedanken, denn du weißt sehr viel über die Insel und es ist immer eine Bereicherung noch mehr zu erfahren! Liebe Grüße und ein schönes Wochenende für dich
Ingrid
LikeGefällt 1 Person